Händlernetzwerke in der Anfangsphase der Hanse

 

Park, Heung-Sik

                                                                                                                                                                             ???

   1. Einleitung

 

Die Geschichte der Hanse fängt bei den meisten Autoren mit der Gründung der Stadt Lübeck im Jahre 1158/59 an und endet mit dem letzten Hansetag im Jahre 1669. Aber wenn man berücksichtigt, daß die Grundlage der Hanse im von wagemutigen Kaufleuten betriebenen Fernhandel lag und daß sich die Fähigkeit der Hansestädte auf Schutz und Beistand der Kaufleute im Ausland konzentrierte, sollte man das Wesen der Hanse mit der Entstehung der organisierten Kaufmannschaften und mit der Bildung der Händlernetzwerke als Mittelpunkt betrachten. Von dem Gesichtspunkte der Entstehung, des Wachstums und der Umwandlung der Händlernetzwerke kann man das Wesen und die ganze Geschichte der Hanse besser und konsequent verstehen.[1]

Wegen der mangelnden Quellen ist der Zeitraum vor der Gründung Lübecks nicht in allen Einzelheiten untersucht. Nur einige Bruchstücke beleuchten es schwach. Die ersten Phase im Leben des heiligen Godric von Finchale(c.1065-1170) bietet uns Einblicke in den Handelsbetrieb eines seefahrenden Kaufmanns vom Ende des 11. Jahrhunderts. Godric nahm 16 Jahre lang am Fernhandel teil, bevor er ein Mönch wurde. Er ist als Sohn einer armen Familie geboren und zog anfangs als Hausierer umher. Aber nach ein paar Jahren trat er in eine Handelsgesellschaft ein und wurde seefahrender Kaufmann. Er besuchte nicht nur das heimische Schottland, sondern unternahm eine Handelsreise nach Rom, Dänemark und Flandern. Godric war nicht nur ein Kaufmann, sondern auch ein Schiffer. Er hat durch seine nautischen Erfahrungen großen Erfolg gehabt. Er wußte genau, wo man englische Waren brauchte und wo man was kaufen bzw. verkaufen konnte. Er konnte solche Information nicht erhalten, wenn es keine Händelsnetzwerke gab. Das deutet darauf hin, daß viele Fernhändler auf die damals entstehenden Handelsnetzwerke angewiesen waren.

Das Ziel dieser Arbeit ist, den Entwicklungsprozeß der Händlernetzwerke in der Nord- und Ostsee in der Anfangsphase der Hanse zu fassen. Der Schwerpunkt liegt nicht auf der Errichtung der Händlernetzwerke. Stattdessen wird hier die Existenz der Fernhandelsnetzwerke besonders vor der Gründung der Hanse aufgrund der Quellen verfolgt werden und die Rolle der Wike bzw. der Messen für die Bildung der Netzwerke untersucht werden. Und daneben wird versucht, einige Anhaltspunkte dafür zu finden, wie die Fernhhändler die Stützpünkte der Netzwerke verbanden.

 

2. Händler und Spuren der Netzwerke vor der Gründung der Hanse

 

1)     Ansgars Reiseweg

 

Die Vita von Ansgar(ca. 801-865) bietet einige nützliche Informationen über den Fernhandel vor der Gründung der Hanse. Ludwig der Fromme schickte Ansgar mit zwei Begleitern im Jahre 829, als Schweden um Missionare gebeten hat, nach Birka. Bis dahin war es üblich gewesen, zur Taufe nach Dorestadt zu reisen, weil es in Birka keine Priester gab. Aber der Handelsweg war wegen der wikingischen Seeräuber immer gefährlicher geworden.[2] Auf Befehl des Kaisers war Ansgar zum ersten Mal nach Birka gereist. Von den Stationen, Transportmitteln und Erlebnissen von Ansgars Reisen nach Birka können wir auf das bestehende Netzwerk zwischen Schweden und Westeuropa schließen. Ansgar fuhr von Köln ab und reiste über den Rhein und Dorestadt mit einem Kaufmannsschiff in die Ostsee. Der Rhein war die wichtigste Handelsstraße im Hinblick auf den Handel entlang der Nordseeküste, aber auch im Hinblick auf den Handel in der Ostsee. Und Dorestadt verknüpfte die Nordsee mit der Ostsee.

Von der Tatsache, daß Ansgar nach Birka mit Kaufmannsschiffen reiste, läßt sich erkennen, daß seine Reiseroute einem gewöhnlichen Handelweg folgte und daß viele Kaufleute bereits bei Schweden verkehrten. Daneben können wir einen engen Zusammenhang zwischen Mission und Handelsnetzwerk in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts vermuten. Auf einer Synode im Jahr 831 wurde bestimmt, daß der Hamburger Erzbischof künftig über die schwedischen Christen verfügen sollte. Die bekehrten und noch zu bekehrenden Christen des Nordens sollten der Reichskirche angehören.  Ansgar wurde vom Papst Gregor IV. zum ersten Hamburger Erzbischof ernannt. Aus diesen Verhältnissen können wir den struktuellen und dauerhaften Charakter zwischen dem karolingischen Reich und Schweden erschließen.

Der dänische König Horich gestattete im Jahre 849 den Bau einer Kirche in Haithabu. Nach Rimbert, dem Vitaschreiber Ansgars, wollte er dadurch veranlassen, "wie vorher die Güter und Vorräte aller Art im Überfluß anzuhäufen".[3] Aus dieser Quelle läßt erkennen, daß vor dem Auftreten der Wikinger die Verladeplätze des Nordens, wie Dorestad und Haithabu, die bedeutendsten Handelsplätze waren. Die Schilderung des Kirchenbaus verweist auf Bewohner, die schon vorher in Dorestad und Hamburg getauft waren.

Auch Birka hatte im 9. und 10. Jahrhundert viele reiche Kaufleute und verschiedene Güter. Aus der Tatsache, daß das Gewerbe in Birka und seinen Hinterland wenig entwickelt war, kann man die Schlußfolgerung ziehen, daß der Reichtum Birkas die Folge des Fernhandels war, wie zwischen Birka und Dorestad. Die Bemühungen der Missionare und der Kaufleute um den Norden wurden in folgenden Jahrzehnten wegen der Überfälle der Skandinavier deutlich zurückgedrängt. Birka wurde um 980 von Dänen zerstört. Aber das neue Handelszentrum Sigtuna entstand 40 km nördlich von Birka. Dies könnte vielleicht das ununterbrochene Bestehen eines Handelsnetzwerkes andeuten. Diese zentrale Stadt ist bis Ende des 12. Jahrhunderts gleichzeitig bzw. nacheinander eine Königsresidenz, eine Münzstätte, ein Bischofssitz und eine Kaufmannssiedlung gewesen. Bei Sigtuna gab es im 11. Jahrhundert eine aus Fremden bestehende Kaufmannsgilde.[4]

Eine reiche Witwe namens Friedeburg lebte in Birka mit ihrer Tochter Catla zusammen. Durch das Testament Friedeburgs ist uns bekannt, daß Catla unter den Armen in Dorestad ihr ganzes Vermögen verteilte. Der Namen Friedeburg ist, nach Jahnkuhn, nicht skandinavisch, sondern eher deutsch. Aber Catla ist friesisch. Daraus konnte Jahnkuhn schließen, daß ihr Mann ein Friese war und daß einige Angehörige der deutschen und frisischen Kaufleuten im schwedischen Handelszentrum ansässig waren und ein großes Vermögen hinterließen.[5]

Auch slawische Kaufleute besuchten nach Adam von Bremen schwedische Handelszentren. Er erwähnt eine Handelsstraße, die von Hamburg über Oldenburg nach Wollin und Novgorod führte. Oldenburg war ein Ausgangspunkt für Rußlandfahrten. Eine noch ältere Nachricht stammt von Ibrahim ibn Jaqub, der im Jahre 965 Wollin besuchte.[6] Um die Mitte des 11. Jahrhunderts spielte der Hamburger Erzbischof Adalbert eine wichtige Rolle in den Beziehungen des Reiches zum Norden. Seine großzügige Unterstützung für die Mission wirkte sich auch auf die Entwicklung der Handelswege aus.[7] Das schnelle Wachstum der dänischen Kirche ist beachtenswert. Damals gab es auf Schonen 300 Kirchen, 150 Kirchen auf Seeland und 100 Kirchen auf Fünen.[8] Dies hängt mit dem Zuwachs der Bedürfnisse nach Fernhandel zusammen. Die Vergrößerung der Kirche in Dänemark und Norden ist sowohl der Zunahme der Bekehrten als auch der Zunahme der Bevölkerung und der wirtschaftlichen Entwicklung, die dies begleitete, zuzuschreiben. Seit der Jahrtausendwende wuchsen die politischen Zentren in Nordeuropa. Auch die wirtschaftliche Entwicklung in Nordfrankreich und Flandern hatte seine Grundlage im Fernhandel.

 

2) Haithabu: ein frühes West- Ost-Handelszentrum

 

Die Friesen waren die aktivsten Händler im Rahmen der vorhansischen Geschichte. Sie hatten besonders an Sklaven und Tuch großes Interesse. In karolingischer Zeit hatten die friesischen Kaufleute ihren Handel auf den Land- und Wasserstraßen im Norden getrieben. Sie hatten sich vom niederen Rhein bis Niederlande niedergelassen. Quentowik (heute Étaples) war das Tor zu den Britischen Inseln, Dorestad (heute Wijk-bij-Duurstede) der Haupthafen des Seeverkehrs nach dem Norden und dem Nordosten. Zwecks sicherer Handelsfahrt zu den Märkten und Wikorten bewegten sie sich gemeinsam in Form von Karawanen. In dieser Entwicklung hatten die Seehandelsplätze, nämlich Wike wie Haithabu, Dorestad, Gent und Quentowik, eine besondere Bedeutung. Daneben entstanden im 9. und 10. Jahrhundert weitere Seehandelsplätze in Küstengebieten in Nordeuropa. Der friesische Handel wurde durch Überfälle unterbrochen. Aber nach der Jahrtausendwende erlebte der Fernhandel wieder einen Aufschwung, wobei die Periode kurz war. Die Friesen eröffneten eine neue Seeroute um Kap Skagen in die Ostsee. Zwei Runensteine in Sigtuna bezeugen die Handelsbeziehungen zwischen Schweden und Friesland im 11. Jahrhundert.[9]

Wike, nämlich Seehandelsplätze bzw. frühere Messeplätze wie Dorestad, Haithabu und Birka, waren Umschlagsplätze und Stapelplätze der fremden Händler, die sich nur temporär dort trafen. In den Wiken drängten sich Kaufleute aus allen Richtungen mit allerlei verschiedenen Handelswaren. Die Bewohner der Wike differenzierten sich beruflich. Die Hauptfunktion dieser Orte war vom Fernhandel bestimmt. Wir haben leider keine konkreten Informationen, wann und wie oft die Händler sich in den Wiken trafen, welche typischen Wasserwege oder Handelsstraßen es gab und in welcher Form die Termine der benachbarten Wike aufeinander abgestimmt waren. Sicher wußten die Zeitgenössischen im Westen, im angelsächsischen wie im nordfranzösisch-flandrischen Raum und in Friesland, wann man in Haithabu auf Skandinavier, Gotländer und vielleicht auch Russen treffen konnte. Sogar arabische Kaufleute aus Spanien kannten die Markt- bzw. Messezeiten von Haithabu an der Schlei.[10] Das Netz dieser Wike umfaßt England, Nord-Frankreich, das Maas- und Rheingebiet, Nordwest-Deutschland und Skandinavien. Haithabu lag im Mündungsgebiet von Rhein, Maas und Schelde, am Ende der kürzesten Landstrecke von der Nord- zur Ostsee. Der in den Ostseeraum gerichtete Verkehr überwand die jütisch-holsteinische Landenge hier am günstigsten. Das Hafengelände von Haithabu besaß seit Anfang des 8. Jahrhunderts eine gewisse Bedeutung. Die westeuropäischen Handelsgüter wurden hier mit den aus Skandinavien, Rußland und dem Orient kommenden Waren getauscht.

Ein norwegischer Bauerkaufmann namens Ottar reiste in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts um das Nordkap und berichtete dem angelsächsischen König Alfred dem Großen über seine Fahrt. Seine Heimat war Halogaland, ein bedeutsames Wirtschaftszentrum, in dem wertvolle Produkte wie russische Pelze zusammenströmten.[11] Sein Reisebericht bezeugt, daß einige Kaufleute aus weiter Ferne am Ende 9. Jahrhundert Haithabu besuchten und weist darauf hin, daß Haithabu eine wichtige Rolle unter den Handelszentren gespielt hat.

Ein Bericht informiert uns über den Haithabu-Besuch eines Kaufmanns aus Tortosa in Spanien namens At-Tartûschi um 950/960. Er schildert sowohl ein Fest einer Kaufmannsgilde als auch die Existenz orientalischer Kaufleute in Haithabu.[12] Ein vermutlich angelsächsischer Seefahrer namens Wulfstan fuhr von Haithabu über die südliche Ostsee nach Truso im Lande der Preußen. Seine Handelsreise bezeugt, daß der südliche Teil der Ostsee schon im 9. Jahrhundert im Gesichtskreis von Haithabu lag. Die Verhältnisse in Osteuropa änderten sich in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts dadurch, daß die Flußfahrt auf dem Dnjepr und der Wolga von den Skandinaviern geöffnet wurden. Die Wege zu bedeutende Wirtschaftszentren, nämlich Byzanz und dem islamischen Raum, öffneten sich jetzt.[13]

 

2)     Erweiterte Netzwerke: die Aktivität der Skandinavier und die Ostsee

 

Neben und nach den Friesen trieben verschiedene Kaufleute aus Völkern wie den Juden, Flamen, Slawen und Skandinavier mit ihren Netzwerken und in gegenseitiger Zusammenarbeit Fernhandel. Vor allem die Skandinavier, die oft Vikinger bzw. Nordmannen genannt wurden, formten seit Ende des 8. Jahrhunderts durch abenteuerliche Seefahrten und Beutezüge neue Verbindungen zwischen nordischen Ländern und Europas atlantischem Westen. Die Vikinger aus Schweden erreichten das Ostseegebiet und die obere Wolga, der Fluß, der das Schwarze Meer und das Gebiet am Kaspischen Meer verknüpfte. Sie gründeten Kiew. Nach Westen wandernde Dänen besiedelten die Normandie und die Bretagne und gründeten ein dänisches Einflußgebiet (Danelag, Danelaw) in Ostengland. Norweger schafften Handelsverbindungen mit Küstengebieten in Nord- und Westengland und mit dem irischen Haupthafen Dublin. Die Einbeziehung des Ostseeraums in das west- und mitteleuropäische Handelsnetz war das Ergebnis einer Neuorientierung der skandinavischen Kaufleute.

Wegen der Aktivität der Vikinger wie der Zerstörung Haithabus schrumpfte der schon bestehende Handel beträchtlich oder hörte vorübergehend sogar auf. Aber der Fernhandel orientierte sich neuerdings um und eröffnete gleich wieder neue Wege. Mit dem Aufenthalt von Dänen, vor allem von Händlern und Kolonisatoren, in England ging Handel einher. Dänische Händler häuften durch den Handel zwischen York und Dublin Reichtümer auf, wie die Vita des Heiligen Oswald in York bezeugt.[14] Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Skandinavien, England und Nordwesteuropas veränderten sich allmählich. Die Abbotsbury Gilde, die älteste Gilde von ganz England, wurde Anfang des 11. Jahrhunderts von Orcy gestiftet. Der Däne Orcy war ein Freund von Knut dem Großen. Seit 11. Jahrhundert gab es in London eine dänische Kaufmannsgilde an der Themse. Die Gildeorganisation und die intime Beziehung mit dem König waren für den Handel vorteilhaft. Und die Handelsrouten von Norwegern und Dänen wurden weiter benutzt.

Deutsche nahmen an der Ostseefahrt bis ca. 1100 nicht regelrecht teil. Ihre Handelsfahrten waren in der Regel an das Nordseegebiet gebunden. Der Rhein war die Haupthandelsstraße für Deutsche. Sie konnten durch den Rhein ihre Wege über See nach London und England verlängern. Die kölnischen Kaufleute beherrschten den Verkehr nach Gent und Brügge, also nach Flandern. Sie lieferten Wein als Ausfuhrgut. Auch bei der Schiffahrt aus dem Rhein nach Tönsberg am Oslofjord und Bergen spielte rheinischer Wein eine bedeutende Rolle. Eine Saga-Überlieferung aus Bergen berichtet, daß rheinischer Wein nach Norwegen in großen Mengen geliefert wurde.[15] In Köln ist die Existenz ansässiger Norweger im 12. Jahrhundert bestätigt.

Zeugnisse über die Insel Gotland deuten die rege Handelsaktivität und das Vorhandensein eines Fernhandelsnetzes im Ostseegebiet an. Ihre günstige Lage machte sie zum Ansteuerungspunkt und Umschlaghafen. Weil die damalige Seefahrt ohne Kompaß betrieben werden mußte, bevorzugten Händler die Küstenschiffahrt und brauchten eine Zwischenladungsstätte wie Visby auf Gotland. Über 500 Schatzfunde und 40,000 Silbermünzen wurden auf Gotland entdeckt.[16] Dies bezeugt die zentrale Rolle der Insel für den Ostseehandel im 11. und 12. Jahrhundert. Gotland wurde Treffpunkt russischer, schwedischer, dänischer und in zunehmender Zahl deutscher Kaufleute. Gotländer verkehrten seit dem 11. Jahrhundert in Novgorod. Sie hatten sich dort niedergelassen und eine eigene Kirche, St. Olaf, gegründet. Sie besuchten Schleswig nach der Zerstörung Haithabus(1066), und sicherten sich etwa 1133-1136 für ihren Handel auf dem Kontinent, vor allem in Sachsen, Privilegien des Kaisers Lothar.

Die Bedeutung des Fernhandels vor der Mitte des 12. Jahrhunderts, nämlich vor der Gründung der Stadt Lübeck, sollte nicht übertrieben werden. Wenn auch Rohstoffe aus dem Ostseeraum, wie Pelze, das Nordseegebiet erreichten und Fertigwaren des Westen wie Wolle ihren Weg nach Novgorod fanden, war die Handelsverbindung zwischen Nord- und Ostsee in der Tat begrenzt. Der Ostseeraum und das Nordseegebiet standen sich als zwei verschiedene Wirtschaftsgebiete gegenüber. Einen regelrechten Handelsverkehr gab es noch kaum. Dennnoch zeigt die Aktivität der verschiedenen Händlergruppen, daß viele Kaufleute vor der Gründung der Hanse versuchten, mit eigener Initiative Handelsnetzwerke zu bilden.

 

3. Die Entstehungszeit der Hanse: Die Entwicklung eines stabilen Handelsnetzwerkes  

 

1)     Die Rolle der Messen

 

Das Aufblühen der periodischen Märkte und das Wachstum der Handelszentren hatten der Kaufmannstätigkeit regelmäßigen Charakter geschenkt. Im 11. und 12. Jahrhundert entstand beim Handel in Frankreich, Süd-Ost England, den südlichen Niederlanden und dem westlichen Gebiet des Heiligen Römischen Reiches etc eine neue Situation. Um die Zentren des Fernhandels drängten sich immer mehr Kaufleute, und die periodischen und ständigen Märkte wurden immer mehr von den Herrschern unterstützt. Die Messen von St. Denis bei Paris und dem linksrheinischen Gebiet bestanden bereits vor dem 10. Jahrhundert.[17] Das gilt auch für die Handelsfunktion der Messe von Wik. Die Messen in der Champagne entwickelten sich im Laufe des 12. Jahrhunderts zu großen internationalen Messen. Sie spielten eine große Rolle beim Aufschwung der nordeuropäischen Wirtschaft. Die Messen und periodischen Märkte verknüpften die Händlernetzwerke. Neben ihrer geographischen Lage wurden sie attraktive Handelsplätze, weil sie sicheren Verkehr und ein System für praktische und einfache Handelsgeschäfte, sowie öffentliche Einrichtungen und die aktive Schutzherrschaft der Grafen der Champagne boten. Daß Londoner(1129/30) und italienischen Kaufleute(1128) an den Champagne-Messen teilnahmen, bedeutet, daß damals internationale Netzwerke als Mittelpunkt von Messen gebildet wurden. Bis zum 12. Jahrhundert fanden in Flandern drei Messen – die Messen von Lille und Ypern(gen. 1127), Messines(gen. 1159) und Torhout(gen. 1084) - statt, die sich die Champagne-Messen zum Vorbild nahmen.[18]

Die Grafen der Champagne hatten großen Gewinn durch Zölle und Gebühren und boten als Gegenleistung den die Messen besuchenden Kaufleuten Schutz und Schirm. Der König von England spielte die gleiche Rolle im 12. Jahrhundert. So war die Unterstützung Heinrichs des Löwen weder einzig noch ganz neu. Der hansische Handel in der Vor- und Frühphase konzentrierte sich auf die periodischen Märkte (Messen und Jahrmärkte).[19] Jedoch war in Nord- und Ostdeutschland der Unterbau der Märkte unterentwickelt. Die Kaufleute, Krämer und Handwerker dieser Gebiete waren nicht in der Lage, die bei den Märkten erworbenen Waren zu verteilen.

 

2) Die Grundlage stabiler Netzwerke: die Gründung Lübecks und die politische und militärische Unterstützung

 

Im 12. Jahrhundert wurden Händlerorganisationen gegründet und das Bedürfnis nach stabilen Netzwerken wuchs ständig an. So veränderte sich die Situation im Ostseeraum. Die sächsischen Kaufleute verknüpften durch den Hellweg das Rheinland mit den Slawen. Die Soester Schleswigfahrer bildeten eine Gesellschaft, die Kölner fraternitas Danica, nämlich eine Bruderschaft der nach Dänemark handelnden Kaufleute. Auch die kölnischen Kaufleute bildeten vor der Gründung Lübecks eine Gilde in London. Sie bekamen ein Privileg des Königs von England und tauschten ihren Wein gegen englische Wolle. Im Ende des 12. Jahrhunderts fuhren kölnische Schiffe noch weiter nach Norden, nämlich nach Dänemark und Norwegen.

Seit Mitte des 12. Jahrhunderts wuchs der Fernhandel rapide. Den entscheidenden Anlaß bot die Gründung Lübecks im Jahre 1158/1159. Weil viele vorher temporar blühenden Handelsemporien verfielen und untergingen, brauchten die Händler dringend politischen und militärischen Schutz gegen Angriffe und Kriege, um stabilen Handel zu gewährleisten. Das regnum Teutonicum hatte in dieser Zeit am tatkräftigsten den Handel im Ostseeraum gesichert. Lothar III. von Süpplingenburg(1125-1137) privilegierte die gotländischen Kaufleute und versuchte damit deren Handel auf die Siedlung des slawischen Alt Lübeck zu ziehen. Heinrich der Löwe, ein Enkelkind Lothars, trug zur Expansion niederdeutscher Kaufleute bis ins Baltikum bei. Eine deutsche Ostseefahrt geht gewiß in ihren Anfängen auf das um 1145 gegründete Lübeck zurück. Ihre volle und wesentliche Bedeutung gewann sie aber erst mit der zweiten Gündung von 1159.

Die deutschen Kaufleute landeten zum ersten Mal auf eigenen Schiffen und in größerer Zahl auf Gotland. Die Schiffahrt von und nach Gotland war bisher als Vorrecht ihrer eigenen Bewohner betrachtet und selbständig ausgeübt worden. Die Schaffung der notwendigen rechtlichen Ordnung und der ausreichende Schutz der deutschen Schiffahrt und des deutschen Handels auf Gotland war deshalb die wichtigste Grundlage. Heinrich unterstützte einen beschworenen Friedensschluß zwischen der gotländischen Landgemeinde und der universitas der deutschen Kaufleute im Jahre 1161. Er forderte Gegenseitigkeit für den gewährten Rechtsschutz. Heinrich der Löwe hat nicht nur den Gotländern ein für sein Herrschaftsgebiet wirksames Privileg erteilt, sondern war der Vermittler, dessen Autorität das gesamte Befriedungswerk zwischen Gotländern und Deutschen mit der Gewähr auf Dauer erst ermöglichte.[20] Im Gegensatz zu dem vorherigen Zusammenwirken der Händler aus eigener Initiative kam das stabile Netzwerk im Laufe des 12. Jahrhunderts mit Unterstützung des mächtigen Herzogs Heinrich zustande. Mit der Gründung Lübecks wurde der im westlichen und mittleren Europa entstandene Stadttyp über die Elbe an die Ostsee vorgeschoben. Auch die Städte dieser slawischen Gebiete waren mit permanentem Markt, Gewerbetreibenden, eigener Kirche und vor allem mit einer selbständigen Gemeinde ausgestattet.

 

3) Die Gotlandfahrer Genossenschaft

 

Die Neugründung Lübecks 1158/59 spielte für die Deutschen die Rolle des Sprungbrettes zum Vorrücken in die Ostsee, und die mit ihr sofort einsetzende deutsche Schiffahrt nach Gotland änderte die Situation des Ostseehandels. Die Kaufleute, die zwischen Gotland und Lübeck Handel trieben, bildeten eine Genossenschaft, wie die Kaufleute in London. Neu an dieser Kaufmannshanse war, daß sie nicht die Kaufleute in einer Stadt, sondern die Kaufleute aus mehreren Städten verband. An der universitas mercatorum Romani imperii Gotlandiam frequentantium, abgekürzt der Gotlandfahrer Genossenschaft, nahmen deutsche Bürger aus über 30 Städten zwischen Köln und Reval teil. Ihr eigentliches Ziel bestand nicht darin, auf Gotland Handelsgeschäfte abzuwickeln, sondern die Insel als einen Knotenpunkt auf dem Weg zu ferneren Handelszielen zu nutzen. In diesem Sinne könnte man die Gotlandfahrer Genossenschaft als eine Richtungsfahrergenossenschaft bezeichnen.

Die Gotlandfahrenden Kaufleute gründeten eine Schwurgenossenschaft im Jahre 1161. Und ihr Patron Heinrich der Löwe bestätigte die gewählten Vertreter. In der Genossenschaft gab es einen Vogt(advocatus) und einen Rat(consilium).[21] Diese Genossenschaft war sowohl ein Zentralorgan als auch ein Fundament, auf dem der wirtschaftliche Erfolg der Hanse im Europa gebaut wurde. Nachdem Heinrich der Löwe Deutsche und Gotländer, die damals miteinander im Konflikt waren, ausgesöhnt hatte, fuhren die beiden Händlergruppen gemeinsam für rund 100 Jahre nach Rußland, England und Norwegen. Ihre Handelsnetzwerke über Lübeck-Gotland-Riga und Gotland- Neva-Novgorod entwickelten sich bald zum Rückgrat des hansischen Ost-West-Handelssystems mit den westlichen Endpunkten London und Brügge.

Die grundlegende Politik der Hanse war von Anfang an konsequent. Die Gotlandfahrer Genossenschaft war ein Grundmuster hansischer Selbstverwaltung.[22] Sie war bis 13. Jahrhundert die zentrale Organisation der Hanse. Es gab ein explizites Handelsnetzwerk zwischen der Gotlandfahrer Genossenschaft, dem Ostseehandel sowie den Städten Lübeck, Riga und Visby. Aber die Genossenschaft hatte an den Verhandlungen um den Flandernhandel keinen aktiven Anteil. Für den Handel in Flandern und England hielt Lübeck neben Hamburg die Fäden in der Hand. Seit Beginn des 13. Jahrhunderts brachten die Kaufleute des Ostseeraumes ihre Waren selbst in die westlichen Hauptabsatzgebiete, nämlich nach England und Flandern. Dieser Vorgang entwickelte sich nicht ohne Reibungen. Die Handelssysteme zwischen Ost- und Westeuropa wurde im großen und ganzen im Verlauf des 13. Jahrhunderts verdichtet. Aus den Städten zwischen Niederrhein und Niederelbe zogen die Fernkaufleute nach England und nach Osten, nach Visby, Novgorod oder nach Smolensk. Sie verkauften die in den Zielländern erworbenen Waren in ihren Heimatstädten oder auf den Handelsmessen. Die Ostsiedlung und die Gründung deutschrechtlicher Städte vor allem im südlichen und östlichen Ostseeraum und die Ausweitung des Handels bedingten sich gegenseitig.

Seitdem die Ratspolitik der Städte in Westeuropa und Deutschland auf den Fernhandel nachhaltigen Einfluß ausübte, galten für den Ostseehandel andere Modalitäten. Je mehr sich die Durchschlagkraft von Handelsstützpunkten wie Lübeck, Visby und Riga bewiesen hatte, desto mehr diktierten sie auch den Ostseehandel als eine Sache der Städte. In dieser Situation mußte die Gotlandfahrer Genossenschaft als störend empfunden werden, und demzufolge wurde sie handelspolitisch und diplomatisch entmündigt. Ein privilegiertes Fernhandelssystem wurde auf Grundlage der Interessen der Städte reorganisiert. Nun war das ordentliche Netzwerk vollendet.

 

4. Schluß

 

Das Fernhandelsnetzwerk, das Nordsee und Ostsee verband, entstand nicht erst mit der Gründung Lübecks bzw. der Bildung der Gotlandfahrer Genossenschaft. Die Fernhandelsnetzwerke um die Handelsemporien entwickelten sich aus der Initiative wagemutiger Kaufleute seit der Karolingerzeit. Der Ost-West-Handel erweiterte sich infolgedessen. Auch aus der Lage der Siedlungen läßt sich erkennen, daß der spätere Ost-West Handel der hansischen Kaufleute den früh- und hochmittelalterlichen Handel verdichtete, intensivierte und diversifizierte, aber nichts Neues war.

Frühzeitige Handelsemporien und Messen verbanden die westlichen Händler mit östlichen bzw nördlichen Händlern. Damit wurde das Zustandekommen der Hanse vorbereitet. Durch Quellen vor der Gründung Lübecks kann man keine Handelsbeziehungen zwischen einzelnen Händlergruppen, sondern nur Handelsbeziehungen unter Städten bestätigen. Aber die Verbindung zwischen Handelsmittelpunkten ist kaum vorstellbar ohne die Aktivität von Händlergruppen. Die Handelsreisen der Kaufleute folgten sichtbaren Zielen und einer realistischen Strategie, wie man später bei der Gotlandfahrer Genossenschaft sehen konnte. Ihre Organisation hatte eigene Vertreter bzw. Autorität, die Konflikte in fremden Ländern lösen konnte.

Die Geschichte der Hanse kann noch früher anfangen, wenn die Fernhandelsbeziehungen und die Tätigkeit der Kaufleute vor bzw. während der Vikingerzeit untersucht werden. Bei diesem Fall wandelt sich der Charakter der Hanse von der Deutschen Hanse zur Hanse Nordeuropas. Dennoch dürfen die Leistungen der Deutschen bei der hansischen Geschichte nicht zu niedrig geschätzt werden. Sie haben sich an den bereits vorhandenen Handelsnetzwerken beteiligt und noch stabilere Netzwerke errichtet. Heinrich der Löwe hat das durch äußere Angriffe unzerstörbare Handelszentrum Lübeck, die Königin der Hanse, gebaut. Die Stadt Lübeck begann gleich nach der Neugründung Koggen zu bauen, um nach Gotland und nach Rußland zu fahren. Die Schiffbau war notwendig, um unversehrt Handelsmittelpunkte auf der Nordsee und Ostsee zu verbinden. Auch mit der Bildung der Gotlandfahrer Genossenschaft bekamen die Netzwerke ein neues Rückgrat. Die Festlegung und Erweiterung stabiler Netzwerke war alles im allem der Schlüssel zur Entwicklung der Hanse.

(Seoul National University / hspark@snu.ac.kr)

 

 

 

 

 

 

 

 


[1] Reginald of Durham, "Life of St. Godric", in: G. G. Coulton(Hg.). Social Life in Britain from the Conquest to the Reformation(Cambridge: Cambridge University Press, 1918), S. 415-420(http://www.fordham.edu/halsall/source/goderic.html); W. Vogel, Ein seefahrender Kaufmann um 1100, in: HansGBll 39(1912), S. 240-247.

[2] Rimbertus, Vita Anskarii Cap. 27.

[3] Ibid., Cap. 24.

[4] J. Schildhauer, K. Fritze, W. Stark, Die Hanse(Berlin, 1975), S. 26-27.

[5] Herbert Jankuhn, Haithabu. Ein Handelsplatz der Wikingerzeit(Neumünster, 1986), S. 128.

[6] Kazimierz Slaski, Die Organisation der Schiffahrt bei den Ostseeslawen vom 10. bis zum 13. Jahrhundert, in: HansGBll 91(1973), S. 6.

[7] Adam, Gesta Hammaburgensis ecclesiae Pontificum III, 18.

[8] Ibid., IV, 7.

[9] J. Schildhauer et al., Die Hanse, S. 11-12.

[10] Richard Hennig, Terrae incognatae. Eine Zusammenstellung und Bewertung der wichtigsten vorcolumbianischen Entdeckungsreisen anhand der darüber vorliegenden Originalberichte, Bd. 2, 2. Auflage(Leiden, 1950), S. 202-205.

[11] Otto Scheel & Peter Paulsen(Hg.), Quellen zur Frage Schleswig-Haithabu im Rahmen der fränkischen, sächsischen und nordischen Beziehungen(Kiel, 1930), S. 129-130; Jankuhn, Haithabu, S. 131-132, 135.

[12] In Haithabu wurden byzantinische Bleisiegel aus dem 9. Jahrhundert ausgegraben. Ibrahim Ibn Jakub, Reisebericht, in: G. Jacob(Hg.), Arabische Berichte von Gesandten an germanischen Fürstenhöfen aus dem 9. und 10. Jahrhundert, 1927.

[13] Jankuhn vermutet aufgrund einer Saga vom weisen Njal, daß Haithabu mit den Byzantium besuchenden schwedischen Vikingern im 10. Jahrhundert in Verbindung trat. Jankuhn, Haithabu, S. 166-167.

[14] "Vita", in: J. Raine, Historians of the Church of York, Bd. I, 1874, S. 399-475.

[15] K. Friedland, Die Hanse, S. 59-60.

[16] J. Schildhauer et. al., Die Hanse, S. 20.

[17] W. Brandes, "Messe," in: Lexikon des Mittelalters Bd. VI, 1999, S. 558-560.

[18] M. Bur, "Champagnemessen," in: Lexikon des Mittelalters, Bd. II. S. 1685-1689.

[19] Franz Irsigler, Messehandel - Hansehandel, in: HansGBll 120(2002), S. 34-36.

[20] Fritz Rörig, "Reichssymbolik auf Gotland. Heinrich der Löwe, Kaufleute des Römischen Reichs, Lübeck, Gotland und Riga"(1940), in: Fritz Rörig, Wirtschaftskräfte im Mittelalter, S. 494-498

[21] Detlef Kattinger, Die Universitas der Gotlandfahrer. Eine kaufmännische Genossenschaft in der Handelspolitik Lübecks und Visbys am Ende des 13. Jahrhunderts, in: Nils Jörn u.a.(Hg.), Genossenschaftliche Struktur in der Hanse(Köln, 1999), S. 51-54.

[22] Ellmers, Die Entstehung der Hanse, S. 4-5.